Karin Meiner
                 




Meiner Streifen
Die aufklärende Funktion des metaphysischen Ungehorsams
Anmerkungen zu Karin Meiners künstlerischem Schaffen
Stefanie Enge-Schwer, Aachen 1992

Die aufklärende Funktion des metaphysischen Ungehorsams:
Anmerkungen zu Karin Meiners künstlerischem Schaffen.

Mit Sicherheit jedem belesenen Menschen bekannt - und dennoch wohl viel zu wenig
wirklich rezipiert - sind die letzten Zeilen von Goethes Gedicht "Prometheus" geeignet,
auf etwas ungewöhnliche Weise zu Karin Meiners Bilder hinzuführen. Der Erinnerung
halber sei die letzte Strophe des Gedichtes hier noch einmal angeführt:
" ... Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich! "
Prometheus ist wie kaum eine andere Figur geeignet, als Metapher für den künstlerischen Schaffensprozeß zu dienen, weil in dieser spezifischen Kreativität die Nähe zum Göttlichen für das sterbliche Wesen Mensch erreicht wird.
Wenn also in künstlerischem Schaffen der Mensch seine eigene Existenz zu transzendieren vermag, so ergibt sich allerdings in diesem zentralen Aspekt zugleich auch der darin verborgene Konflikt zu erkennen: Schaffen wie ein Prometheus setzt den Blick auf die eigene Person voraus und führt im Goetheschen Sinne letztendlich zu metaphysischem Ungehorsam und zur Emanzipation gegenüber dem göttlichen Bereich. Denn die prometheische Reflexion hat ergeben, daß von den Göttern nur Neid und Armut zu erwarten sei, und daß alle kindliche Hoffnung auf Trost und Heilung, Hoffnung und Erbarmen jeweils aus Prometheus selbst kamen statt von den Göttern, die lediglich einen Anspruch verkörpern, aber den Beweis schuldig geblieben sind.

Im Sinne von Selbstverantwortlichkeit und geistiger Mündigkeit betrachtet Prometheus sich selbst und formt - stolz auf seine Schaffenskraft - Gebilde nach diesem Vorbild, d.h. das Göttliche, definiert als Schöpfer von neuen Menschen, hat sich in den Menschen selbst verlagert. Wenn Gott nicht Verantwortung übernimmt, muß der Mensch es selber tun, allerdings ohne dann noch weiter auf den metaphysischen Bereich Achtung zu nehmen.

Wie wichtig das Selbstverständnis des Künstlers als Schöpfer für die gesamte Kunst ist, mag ein kurzer Blick auf die Selbstdefinition des Künstlers bei Thomas Mann erbringen. Denn dieser konstituiert den Künstler als leidendes Subjekt, das sich allenfalls im Leiden selbst erhöht und im passiven Hinnehmen eines scheinbar göttlichen Willens. Es drängt sich der Verdacht auf, daß bei Thomas Mann der Künstler, als ein Mensch, der schaffen will und muß, sich selbst dafür bestraft, daß er als Schaffender göttliche Dimensionen erreichen kann und durch Selbstrefexion das Göttliche in sich selbst zu entdecken vermag. Dem Künstlertypus bei Thomas Mann fehlt der metaphysische Zorn des Prometheus, das
Aufbegehren gegen einen unbewiesenen und unbegründeten Anspruch des Göttlichen und die logische Konsequenz des anschließenden Ungehorsams und der damit verbundenen Emanzipation, die nicht eigentlich Freiheit, sondern in erster Linie immer Verantwortung impliziert.

Diesen prometheischen Menschen, der sich auf den Weg begeben hat, als Schaffender zu reflektieren und den göttlichen Anspruch als logischen Widerspruch zu entlarven, um am Ende mit Stolz und Würde auf die Selbstverantwortlichkeit zu verweisen als das eigentlich Göttliche, das Gott selbst nicht kennt, - diesem prometheischen Menschen kann man in Karin Meiners Bildern begegnen.
Zunächst verbirgt dieser neue Menschentyp sich noch vor dem Betrachter, fast als ob eine gewisse Scheu ihn davon abhalte, sich zu erkennen
zu geben. Vielleicht auch weiß der neue Mensch noch zu wenig über sich selbst, d.h. seine Selbstreflexion trägt noch embryonale Züge.

Wenn man von aller eigenen Angst vor den modernen Mythen wie Technik und Maschine, denen man bei Karin Meiner auf Schritt und Tritt begegnet, einmal zu abstrahieren vermag, dann läßt sich etwas sehr
Ungewöhnliches dahinter entdecken, nämlich ein " Homo ludens ".
In diesem vorsichtig angedeuteten und noch recht zaghaften Typus Mensch scheint mir eine ausbaufähige Chance zu einer sehr wichtigen Form der Hoffnung zu liegen.

Denn die Freude am Spiel ist die gesunde Form des Lernens und der Vorbereitung auf ein späteres produktives Leben in der Frühphase jeder menschlichen Entwicklung, sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch betrachtet.

Karin Meiner nimmt die Welt wie sie ist: Eine Welt, die zunehmend enthumanisiert zu werden droht und alles Menschliche als so negativ betrachtet, daß es nur noch verdient, eliminiert zu werden. Eine solche Welt erzeugt mit Sicherheit Angst in jedem von uns, aber Gefühle sind immer auch Intimsphäre und ein selbstverantwortlicher Mensch mag an sich selbst den Anspruch stellen, nicht über diese Intimsphäre zu sprechen (via Metaphern), sondern über das, was danach kommt, d.h. über einen PROZESS, in dem Angst und Kommunikation darüber nur Mittel darstellen, niemals aber Selbstzweck.

Karin Meiner geht diesen selbstgewählten Weg sehr konsequent an, indem sie " das andere " thematisiert, d.h. nicht die Angst, die als Voraussetzung allen erlebten Lebens zu gelten hat, sondern das komplementäre Element dazu: Das Göttliche im Menschen, das sich über Spiel, Kreativität und selbstbewusster Produktivität zur verantwortlichen Autonomie entwickeln kann.
Dieser prometheische Menschentypus, der Verantwortung als göttliche Dimension betrachtet und Menschen nach diesem Vorbild formt, ist anders als der leidende Künstler bei Thomas Mann, der seine Schaffenskraft letztendlich darin zerbricht, daß er unentwegt sein Leiden am Mangel göttlicher Verantwortung thematisiert, sich diesem Mangel aber gleichzeitig auch beugt, statt sich zu metaphysischem Zorn aufzuraffen und das erhoffte göttliche Element dort zu suchen, wo er es zu finden vermag: In ihm selbst und nicht außerhalb seiner selbst.

Karin Meiners "Maschinenmenschen" scheinen sich auf den Weg des metaphysischen Zorns begeben zu haben und willens zu sein, das göttliche Element entdecken zu wollen. Alle plakative Farbigkeit und alle verharmlosenden Comic-Elemente können nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein neuer Menschentyp geboren wird: Der Homo ludens, der am Anfang seines Lebens Produktivität und Selbstverantwortung spielend lernt, und am Ende spielend produktiv ist: Voller Lust und Stolz auf seine eigenen Produkte, die aber als nicht so göttlich angesehen werden, daß sie alles Menschliche eliminieren müßten.

Für Karin !
Aachen, den 24.6.1992

Stefanie Enge-Schwer
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