Manfred Hammes
                 




Hammes Augenleiste
Eine Zeichnung als Objekt im Raum
Silke Feldhoff, Weimar 2000
Eine zweidimensionale Form aufzeichnen, ausschneiden und aufrecht in den Raum stellen - das macht Manfred Hammes, wenn er seine Cut-Outs herstellt. Dieser rein technischen Erklärung entspricht die vom Künstler gewählte Bezeichnung seiner Objekte als ´Cut-Outs´, also als etwas ´Ausgeschnittenes´.


1991 schuf er seine ersten Cut-Outs. Dabei handelte es sich um etwa 40 - 60 cm hohe, aus zwei cm starkem Holz ausgeschnittene Köpfe, die er mit Schrauben fest auf einem Sockel fixierte; der Sockel bestand dabei jeweils aus einem Buch über Kunst, damit auf Wissen und Kunst als den Nährboden seiner Arbeit verweisend.


Von den anfänglich kleinen Formen ging er über zu zwei Meter hohen und schließlich bis zu fünf Meter hohen Figuren. Mit zunehmender Größe wechselte er von Holz zu Stahl und Aluminium und verzichtete weitgehend auf einen Sockel. Ebenso variiert die farbliche Gestaltung seiner Cut-Outs. Je nach Charakter des Objektes ließ er sie unbemalt, bemalte sie mit Schellack oder bearbeitete sie nach einer schwarzen Grundierung in dripping Technik.


Zwei Konstanten durchziehen dabei den gesamten Komplex seiner Objekt-Arbeiten. Zum einen sind seine Figuren von der immer wieder variierten Form des menschlichen Kopfes geprägt. Diese begegnen dem Betrachter auch in den Bildern des Künstlers - und tatsächlich hat Manfred Hammes die Objekte aus seinen Bildern heraus entwickelt. Er selber sagt dazu: "Die Cut-Out-Objekte sind sozusagen aus den Bildern gesprungen". Hier verweisen sie, wie in seiner Malerei, als pars pro toto auf den Menschen und darüber hinaus auf menschliche Zivilisation und Kultur. Zum anderen ist die Zweidimensionalität ein wesentliches Merkmal seiner Cut-Outs. Ihre ´Unräumlichkeit´ durchbricht er jeweils gezielt an einer Stelle, wenn er sich bewegende und so Raum definierende Elemente (wie z.B. Augen) einfügt.


Den Augen kommt dabei aus mehreren Gründen eine besondere Bedeutung zu. Sie verdeutlichen die zwei Dimensionen des Sehens: einerseits das Anschauen, das Betrachten und andererseits das "Einsehen" als ein Erkennen und Verstehen. Und wenn sich, durch Wind oder Sonne angetrieben, ihre Pupillen drehen, dann kristallisiert sich in den Augen das Wechselspiel von Kunst und Natur, oder Kultur und Natur, das thematisch Manfred Hammes gesamtes Schaffen durchzieht.


So spielen Solaraggregate seit 1993 eine große konzeptionelle und funktionale Rolle in seinen Cut-Outs. Sie liefern die natürliche Energie dafür, daß sich Augen drehen oder Münder Wasser speien (Blauer Kopf, 1999); auf diese Weise binden sie die Natur in die Arbeiten ein. Weitreichendere Bedeutung für den Gehalt von Manfred Hammes´ Solar-Arbeiten hat jedoch die Tatsache, daß die Solaraggregate die Vorstellung eines Energietransfers visualisieren. Das tun sie sowohl im praktischen, anwendungsbezogenen Sinn als auch im übertragenen Sinne eines Kräfteaustausches.


Diesen Gedanken hat Manfred Hammes bei zahlreichen Arbeiten für den öffentlichen Raum weiter verfolgt. So reichte er z.B. 1997 einen Entwurf für den ausgeschriebenen "Kunst am Bau"-Wettbewerb für das neue Abgeordnetenhaus in Mainz ein. In den Innenhof des Hauses sollte eine große Akkupunkturnadel (so der Name des Projektes) gehängt werden; diese würde zum Träger der Vision, daß der gesellschaftliche Organismus durch das gezielte Bearbeiten neuralgischer Punkte und bestimmter Energieflüsse - durch die Akkupunkturnadel in der Hand der Abgeordneten - aktiviert werden könnte. Der Entwurf wurde nicht realisiert.


Betrachtet man die Cut-Outs von Manfred Hammes unter formalen Gesichtspunkten, so stellt man fest, daß sie in der Kunst der 90er Jahre kein isoliertes Phänomen darstellen; an dieser Stelle sei nur auf die Figuren von Jonathan Borofsky und Keith Haring hingewiesen. Ebenso gibt es Parallelen zu den Scherenschnitten von Henry Matisse oder einigen Flachreliefs von Jean Arp. Die genannten Bezüge sind allerdings formaler Art. Ähnlich verhält es sich mit den Mobiles von Alexander Calder; die frei-schwingende Aufhängung der Augen in Manfred Hammes Cut-Outs ist ebenso spielerisch und von dem Gedanken an das Zusammenspiel von Licht, Wind, Fläche und Bewegung getragen wie die Arbeiten des Amerikaners.


Inhaltlich sind seine Cut-Outs dem aufklärerischen Impuls verpflichtet, den Betrachter für die eigene sinnliche Wahrnehmung und für die Natur sowie die Eingebundenheit des Menschen in den universalen Organismus zu sensibilisieren. Darüber hinaus treiben sie ein ironisches Spiel mit dem Denkmalgedanken: Von vorne flächig und monumental sind sie von der Seite gesehen nur wenige Zentimeter stark und erscheinen fragil; einerseits wirken sie durch ihre Größe, ihre Positionierung und ihren Ausdruck erhaben, andererseits sind sie verspielt, haben keinen Sockel und verändern sich mit den sich wandelnden Wetterbedingungen. Die inhaltliche Ausrichtung sowie die sorgfältige Auswahl des Standortes (an einer Schule, einem öffentlichen Platz u.ä.) spiegeln das Anliegen, die noch immer verbreitete Scheu vor Kunstwerken abzubauen und Kunst in die Alltagskultur einzubinden.


Aufgrund ihrer reduzierten und abstrahierenden Formensprache sowie ihrer Zweidimensionalität haben die Cut-Outs von Manfred Hammes den Charakter objekthafter Zeichnungen. Dem Betrachter bieten sie sich als Wächter, Seher oder als Wegmale dar; als Zeichen im öffentlichen Raum.


Silke Feldhoff
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